Die Banane der Neuzeit
Vor nicht allzu langer Zeit, konnte der geneigte Karl-Marx-Städter ein seltenes Schauspiel beobachten. Das Gerücht, dass es auf dem Opernplatz irgendwo „Kunst“ zu sehen gäbe, und zwar nur noch für kurze Zeit, verbreitete sich schnell. Schon bald bildeten sich wüste Menschenmengen auf dem Freiluftfoyer des Opernhauses. Nur wenig später stellten die ersten spitzfindigen Bewohner den Zusammenhang zwischen dem einen Gebäude namens „Kunstsammlungen“ und dem Objekt der Begierde „Kunst“ her. Dort musste also dieses Zeug zu haben sein. Und wahrscheinlich auch noch kostenlos! Darauf hat man heutzutage schon fast einen verfassungsrechtlichen Anspruch.
Schnell bildeten sich Schlangen am Eingang. Nur schleppend bahnte sich die gierige Meute ihren Weg durch die altehrwürdigen Pforten. Als die Ersten jedoch wieder heraus kamen, zeigten sich viele davon wie vor den Kopf gestoßen: „Nicht is, nur Russen. Nimal anfassn darf mor die! Mietnemm schu gar ni.“ Die meisten der noch Anstehenden ließen sich davon allerdings nicht abbringen und wollten selbst enttäuscht werden. Wenigstens das! Das Anstehen kannte man noch von früher und das beherrschte man immerhin noch aus dem FF. Doch auch die tapfersten der anständigen Ansteher mussten sich mit einem Blick in die imaginäre Röhre begnügen. Enttäuschung auf dem ganzen Platz.
Die Karl-Marx-Städter erwiesen sich somit als absolute Kunstbanausen. Vermuteten doch viele die Banane der Gegenwart gefunden zu haben. Das eine Jene wonach sich alle verzehren. Wie sie es gewohnt waren, stellten sich die Leute einfach hinten an. Mit blindem Vertrauen auf den Ersten in der Schlange, der ja wisse, warum sich hinter ihm tausende Leute tummelten. Und mit einer ordentlichen Prise Misstrauen gegenüber allen, die Schlangestehen für sinnlos erachten. Lieber dabei gewesen sein, als später Kubaorangenhaschee essen zu müssen! Die Suche nach der „Raison de Rester“ geht weiter.
Falk Sieghard
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