Vitamine am Stück
Kaum ein Zusatzstoff hat in den letzten 100 Jahren so eine Karriere gemacht wie das Vitamin. Wer heute zu DM geht, kann getrost den Besuch beim Obsthändler seines Vertrauens vergessen: Pillen, Tropfen, Pülverchen. Vitamine lassen sich schlucken, lutschen, trinken, auftragen. Und dank der E-Zigarette sicherlich auch bald rauchen.
Man vergisst dabei schnell, dass Vitamine nicht im Drogeriemarkt wachsen. Sie müssen unter widrigen Bedingungen unter Tage abgebaut werden! Erzgebirgler mit Staublunge brechen mit Hammer und Meißel das Rohvitamin aus dem harten Porphyrgestein am Fuße des Fichtelbergs. Früher im Namen der Wismut, heute im Auftrag von Bayer und co. Nach der gründlichen Waschung im Eger werden die Vitaminblöcke zur Pulver- und Tropferisierung in die großen nahgelegenen Chemiewerke gebracht.
Früher sparte man sich diesen Schritt allerdings. Das Rohvitamin wurde direkt zum Verkauf geschickt. Überall fand man Geschäfte, die sich auf das Anbieten von Vitaminblöcken spezialisierten. So auch auf dem Sonnenberg. Noch heute zeugt das Schild über der Tür mit der Aufschrift „Vitamine“ von einer glorreichen Zeit des Vitaminhandels. Eine nette Verkäuferin schnitt die gewünschte Menge vom Stück, wog und packte es in Cellophan. Zu Hause legte man sich dann hauchdünn geschnittene Scheiben aufs Brot – die Vitaminzufuhr aus vergangenen Zeiten.
Falk Sieghard
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